„Top-Experten müssen sich mit uneinheitlichen Vorgehensweisen herumschlagen, die sie an ihre physischen und psychischen Grenzen bringen“, verdeutliche MedicalMountains-Geschäftsführerin Julia Steckeler das Dilemma: Regularien wirken sich nicht nur auf Produkte aus, sondern auch auf die Menschen, die sich damit beschäftigen. Als Lösungsansätze bieten sich Harmonisierung und Digitalisierung an – sie standen in Tuttlingen bei dem Symposium „Internationale Zulassung von Medizinprodukten“ im Fokus. Seit einigen Jahren beschäftigt sich die Arbeitsgruppe „Regulated Product Submission“ innerhalb des International Medical Device Regulators Forum (IMDRF) damit, eine global gleichartige, dynamische Struktur für die Einreichung von Zulassungsanträgen aufzubauen, das „Non-In Vitro Diagnostic Device Regulatory Submission Table of Content“, kurz nIVD ToC. Als ein Vertreter der EU ist Dr. Rainer Edelhäuser in dem Gremium aktiv. Der Direktor der Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) informierte bei dem Symposium über den aktuellen Stand bei dem nIVD ToC. Bis zum 15. April befindet sich der Entwurf zur Revision des bisherigen Dokuments (N9) in öffentlicher Konsultation. Herausfordernd sei, dass die regulatorischen Rahmenbedingungen der beteiligten Länder und Staatenverbunde in Bewegung seien, erinnerte Dr. Rainer Edelhäuser. So müssten sich beispielsweise die MDR-Anforderungen an die Technische Dokumentation aus den Anhängen II und III in der internationalen Struktur wiederfinden. Dem steht jedoch entgegen, dass einzelne Regionen zum Beispiel der Aufnahme eines „Post-Market“-Kapitels nicht zustimmen und Benannte Stellen eigene Interpretationen der Anforderungen pflegen. Harmonisierung, so der Eindruck, muss erst im Kleinen beginnen. In eine ähnliche Richtung ging es bei der späteren Fragerunde. Dass Benannte Stellen im Land ihre Ergebnisse gegenseitig anerkennen und etwa bestehende, geprüfte Unterlagen als korrekt akzeptieren, sah Dr. Rainer Edelhäuser zwar als wünschenswert, aber ohne Rechtssicherheit für die Prüforganisationen nicht realisierbar an. Deren Aufgabe sei es, den Anforderungen der MDR nachzukommen, also das umzusetzen, was die Verordnung nun einmal fordere. Einhellig wurde dazu ermuntert, den im MDCG-Positionspapier 2022-14 angestoßenen strukturierten Dialog zwischen Herstellern und Benannten Stellen zu forcieren – und auch seitens der Industrie einzufordern.
Trotz vieler nicht umgesetzter Vorschläge gibt es dennoch Fortschritte, wandte der ZLG-Direktor den internationalen Blick nach vorn. Dazu zählt insbesondere der Austausch der Behördenvertreter auf IMDRF-Ebene. Von der US-amerikanischen FDA war Patrick Axtell eigens nach Tuttlingen gekommen, um das eSTAR-Verfahren vorzustellen. Bei eSTAR werden die Antragsteller über ein dynamisches pdf-Dokument durch die einzelnen Fragen geleitet, deren Struktur sich den jeweiligen Produktkategorien anpasst. Nach dem Upload besteht die Möglichkeit, den Fortgang der Bearbeitung online nachzuverfolgen. Orientiert an der nIVD ToC, wird eSTAR derzeit im Rahmen eines Pilotprojekts auch bei Health Canada eingeführt; weitere Länder könnten folgen. Patrick Axtell verstand es, die Dynamik der Entwicklung von eSTAR zu vermitteln, mit absehbar nächsten Schritten hin zu mehr Effizienz und Harmonisierung. Julia Steckeler sah in eSTAR ein Modell mit Vorbildcharakter für Europa – zumal dem dortigen System eine „Kernschmelze“ drohe, so Prof. Dr. Christian Johner (Johner Institut GmbH). „Disruption ist notwendig“, betonte er und zeichnete das Bild einer gemeinsamen Plattform für Hersteller, Benannte Stellen und Behörden, um direkt auf einzelne, strukturierte Daten zuzugreifen. Nur knapp ein Drittel einer Technischen Dokumentation sei tatsächlicher Inhalt, die restlichen rund 70 Prozent „wertfrei“. Ohne den Ballast werde nicht nur Zeit bei internationalen Zulassungen gewonnen, sondern vor allem, um „wirklich etwas für die Sicherheit und Leistungsfähigkeit von Medizinprodukten zu tun.“ Welche Entwicklungen sich in wichtigen Zielmärkten abzeichnen, stellte ein Team der Med Alliance BW zu Beginn von Tag 2 des Symposiums vor. Einerseits konnten Ansätze weiterer Harmonisierung identifiziert werden. Beispielsweise, dass das UDI-System weltweit immer mehr Fuß fasst und sich China in Teilen an europäische Normen anlehnt. Andererseits haben sich neue Hürden aufgebaut, wozu der Blick in die europäische Nachbarschaft – Schweiz und Großbritannien – genügte. Die beiden anschließend von Veeva Systems geleiteten Workshops griffen nochmals die nIVD ToC auf: wie sich darauf eine globale Technische Dokumentation aufbauen und als Hebel für Marktzugänge nutzen lässt. Vor, während und nach den Beiträgen war das Symposium von viel Kommunikation unter den 60 Teilnehmenden geprägt. „Wir brauchen diesen Austausch, um gemeinsam vorwärts zu kommen“, bilanzierte Julia Steckeler. Umso höher sei es zu bewerten gewesen, dass ZLG und FDA direkt vor Ort waren, für ganze zwei Tage, nicht nur für ihre Vorträge. „Es waren sachliche, konstruktive und vor allem lösungsorientierte Diskussionen“, auf denen aufgebaut werden könne. Immer wieder sei zur Sprache gekommen, dass Entscheidungsträger auf den Input aus der Branche angewiesen seien. „Das Symposium hat einige wertvolle Impulse gegeben“, so Julia Steckeler: „Wir werden den Dialog auf allen Ebenen vorsetzen, zwischen den Unternehmen, zu den Benannten Stellen, zu den nationalen wie internationalen Behörden und Regulierern.“
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