Wie ist der Stand der Implementierung der europäischen Medizinprodukte-Verordnung (MDR) – und wie lassen sich die Vorgaben umsetzen? Das von der MedicalMountains GmbH veranstaltete MDR-Symposium mit der Med Alliance BW zoomte von politischen Grundsatzfragen auf konkrete Unterstützungsformate, vom gesamteuropäischen Blickwinkel auf Perspektiven in den einzelnen Unternehmen – von steinigem Terrain auf Lichtblicke. Auch wenn das Europäische Parlament vor kurzem deutliche Kritik am Umsetzungsstand der MDR geäußert hat: Die Verordnung bewegt sich aufgrund eines komplexen Regulierungsumfelds und unterschiedlicher Grundinteressen von Mitgliedsstaaten auf steinigem Terrain. Ortwin Schulte, Leiter des Referats Medizinproduktesicherheit im Bundesgesundheitsministerium, beleuchtete den aktuellen Stand sowie Tendenzen, die Implementierungslücken zu schließen. Mit Blick auf Bestandsprodukte gibt es auf EU-Ebene erste Diskussionen zu einer Fristverlängerung; auf nationaler Ebene wird außerdem über Artikel 97 MDR diskutiert. Zwar lautet dessen Überschrift „Sonstige Nichtkonformität“, jedoch wäre es grundsätzlich denkbar, dadurch Bestandsprodukte trotzdem verkehrsfähig zu halten, sofern „kein unvertretbares Risiko“ damit verbunden ist und der Hersteller nachweisen kann, dass er frühzeitig alles in seiner Verantwortung liegende unternommen hat, um rechtzeitig eine Zertifizierung zu erreichen.
Dass die Zeit drängt, legte Ortwin Schulte mit Zahlen aus einer Konferenz der Koordinierungsgruppe Medizinprodukte (MDCG) mit Vertretern Benannter Stellen dar: Um rechtzeitig im Mai 2024 die Rezertifizierung abzuschließen zu können, wären 7.000 MDR-Anträge von Unternehmen erforderlich – aktuell seien es lediglich rund 4.000. Darunter sei zudem ein erheblicher Anteil nicht zertifizierungsfähig. Fehlende klinische Daten wurden als häufiges Manko genannt. Dieser Eindruck spiegelt sich in anderen EU-Ländern wider, wie das Gespräch von MedicalMountains-Geschäftsführerin Julia Steckeler mit Alessia Frabetti (KIWA-CERMET, Italien) und Alexey Shiryaev (DNV Product Assurance AS, Norwegen) zeigte. „Ziehen Sie alle verfügbaren Daten aus verschiedenen Quellen heran“, empfahl Alexey Shiryaev, um genug Aussagekraft zu generieren. Wie Alessia Frabetti berichtete, seien die ihr vorliegenden Anträge noch oftmals zu nah an den alten Richtlinien. Wichtig sei jedoch, die MDR „auf neue Weise zu lesen und als neues Schema zu sehen“. Die nachmittägliche Dialogrunde vertiefte die Themen aus Sicht von Herstellern und deutschen Benannten Stellen. Linda Krziwon (Christoph Miethke GmbH & Co. KG) zeigte den Interessenkonflikt vieler auf: Auf der einen Seite gebe es Produkte, bei denen eine Abkündigung ernsthaft in Betracht gezogen werde, auf der anderen aber die ethische Verantwortung, sie im Bestand zu belassen, „weil es keine Alternative gibt“. Bei Bedarf werde man retrospektive Daten sammeln, obwohl klar sei: „Wenn ein Produkt sicher ist, wird auch eine Anwenderbefragung nichts daran ändern.“ Corina Matzdorf (ulrich medical) schlug vor, mit der Akteneinreichung das Recht zu erhalten, weiter am Markt bleiben zu dürfen – wie es bei Umstellung auf die aktuelle Regulation im Pharmabereich ermöglicht wurde. Wie Manfred Appel (TÜV SÜD Product Service GmbH) sagte, sei es im Einzelfall möglich, Produkte unter Auflagen freizugeben. Selbstverständlich müssten dabei Sicherheit und Performance genauso gewährleistet sein wie bei einer vollständigen, regulären Zertifizierung. Mit Blick auf die zahlreichen Guidances zur MDR erinnerte Harald Rentschler (mdc medical device certification GmbH): „Mit vielen MDCG-Papieren werden die Erwartungen hochgeschraubt und wir als Benannte Stellen müssen sie weitergeben“ Er plädierte, für eine sinnvolle Umsetzung „vernünftige Übergangsfristen“ zu etablieren. Bei allen Hürden: Julia Steckeler hatte bereits zu Beginn den rund 100 Teilnehmern vor Ort und an den Monitoren angekündigt, dass es bei dem Symposium „Lichtblicke“ geben werde – und zwar konkrete Unterstützungsangebote in Form der Med Alliance BW, einer im Rahmen des „Forum Gesundheitsstandort BW“ geförderten landesweiten Experteninitiative. Deren aktive Mitgliedsunternehmen stellten eigens erarbeitete Ergebnisse für PMCF und Material Compliance sowie Zwischenstände bei den Themen Biokompatibilität, Lieferantenmanagement und internationaler Zulassung vor. Sie steckten „Ressourcen in die gemeinsame Erarbeitung von Lösungsansätzen, die anderen helfen“, erinnerte Julia Steckeler. Die Branche wolle die MDR gut umsetzen, sie wolle dabei aber auch innovativ sein, gute Produkte und Vielfalt am Markt halten: „Aus Überzeugung und Entschlossenheit, das Richtige zu tun.“ Dass eine Verlängerung der Übergangsfrist hier keine Lösung darstelle, solange die Zertifikate trotzdem spätestens im Mai 2024 auslaufen, sei dringend zu beachten. Julia Steckeler unterstrich, dass es dringend an Zeit bedürfe, nachhaltige Lösungen für Bestands- und Nischenprodukte zu entwickeln und zu etablieren. Zeit könne schnell gewonnen werden, indem auslaufende Zertifikate unter den alten Richtlinien unbürokratisch verlängert würden. „Langfristig braucht es aber wirkliche Lösungen, um die Vielfalt an lebenswichtigen, sicheren und innovativen Medizinprodukten in Europa zu erhalten“, so die MedicalMountains Geschäftsführerin.
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